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Digital first? Beispiele aus der ambulanten Praxis.
Expertenschätzungen zufolge könnte die Digitalisierung bis zu 25 Prozent der Patientenkontakte ersetzen. Ein Einsparpotenzial, das dem Zeitbudget der Ärzte zugute kommen würde. In der Session „Restrukturierung der ambulanten Versorgung: Digitalisierung als Treiber?“ diskutierte Moderatorin Jessica Hanneken, Abteilungsdirektorin im Bereich Gesundheitsmärkte und -politik der apoBank, konkrete Anwendungen für den ambulanten Sektor.
Praxis ohne Arzt?
Dr. Tobias D. Gantner, Gründer und Geschäftsführer der HealthCare Futurists GmbH, stellte sein Konzept für die ländliche Fernbehandlung und Diagnostik vor, die im kommenden Jahr in Bayern an den Start geht. Die Idee hinter der TELEmedicon-Praxis ist, dass der Arzt nicht immer dort sein muss, wo der Patient ist. Der Ansatz zielt darauf ab, den Dialog zwischen Ärzten und Patienten zu erleichtern und hat ausdrücklich Gebiete im Fokus, in denen Versorgungslücken drohen. Gantner etabliert sein Modell in Absprache mit den regionalen kassenärztlichen Vereinigung und appellierte an die Ärzte sich dabei zu engagieren.
Die Umsetzung wird so aussehen, dass Patienten die TELEmedicon Praxis aufsuchen, teilweise indem sie einen Fahrdienst nutzen. Vor Ort nutzen Fachangestellte technologische Entwicklungen, wie ein digitales Stethoskop, das mit dem Smartphone verbunden wird. Weitere Messungen erfolgen in elektronischer Form. Der Arzt nimmt - in seiner weiter entfernten Praxis - diese Termine wahr, indem er digital zugeschaltet wird. Anhand der übermittelten Werte entscheidet er, ob die persönliche Vorstellung erforderlich ist oder auch ob ein weiterer Fachkollege hinzugeschaltet wird.
Patientenbeziehung erhalten
Dr. Thomas Aßmann, Geschäftsführer des hausärztlichen Zentrums Angelus in Lindlar schilderte die Veränderungen, die er durch die Digitalisierung im Patientenkontakt erlebt. Dass viele Patienten ihn fragen, ob die selbst recherchierte Google-Diagnose stimme, sieht er als Beleg dafür, dass Technik immer nur ein Hilfsmittel sein könne. In Zeiten, in denen sich das Gesundheitswesen auf mehr Patienten bei weniger Ärzten einstellen müsse, sei es wesentlich, eigene Arbeitsweisen anzupassen. Früher sei er 25 Minuten zum Patienten gefahren, habe dort 10 Minuten verbracht und sei wieder 25 Minuten zurückgefahren. Die heutige Technik biete die Möglichkeit, Abläufe effizienter zu gestalten und dabei die Versorgung zu verbessern. Aßmann ist Entwickler der „Arztpraxis im Koffer“. Mit diesem fährt eine weitergebildete Medizinische Fachangestellte zum Patienten und nimmt die Messungen vor Ort vor. Er selbst wird per Videokonferenz zugeschaltet und betont, dass er so sieht, wie es dem Patienten geht. Mit der unmittelbaren Fotodokumentation wird auch eine mögliche Weiterbehandlung beim Facharzt besser vorbereitet.
Aßmann rief dazu auf, die positiven Erfahrungen mit der Digitalisierung zu nutzen und die Weiterentwicklung gemeinsam zu gestalten. Um die Innovationen im System zu fördern, sollten auch die Krankenkassen einbezogen werden. Für die anstehende Neuverhandlung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs, kurz Morbi-RSA, spricht er sich dafür aus, Zuschläge für die digitale Behandlung aufzunehmen. Mit solchen Regelungen könnten Krankenkassen Innovationen aktiv fördern.
Daten nutzen
Dr. Marco Schmidt, einer der Gründer der biotx.ai GmbH betonte, dass persönliche Daten als Ressource heute wertvoller seien als Öl. Gerade in der Medizin seien genug Daten vorhanden, weshalb der Markt auch für branchenfremde Anbieter interessant sei. Die Möglichkeit, das menschliche Genom zu analysieren, mache diese für Auswertungen mittels künstlicher Intelligenz interessant. Dabei könnten zwar vergleichsweise schnell Korrelationen gefunden werden, die jedoch nicht in der Breite der Bevölkerung der Realität entsprechen. Wesentlich sei es, dass die biomedizinische Forschung jedes einzelne Merkmal prüfe. Unabhängig davon, dass bereits Genmuster einiger Krankheiten bekannt seien, gelte es Zusammenhänge und Umweltfaktoren einzubeziehen. Hierzu zählen auch Daten, die niedergelassene Ärzte, beispielsweise in eigenen Registern, erheben. Im Focus seines Unternehmens liegt es, mit einem maschinellen Verfahren solche Muster zu erkennen, um bessere Erkenntnisse für die Versorgung zu erzielen.
Erfahrungen der Modellprojekte nutzen
Dass Modellprojekte die medizinische Versorgung verbessern können, zeigte Dr. Ulrich Clever, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Seine Kammer ermöglichte 2016 als erste Modellprojekte, die Fernbehandlungen in der ambulanten Versorgung ermöglichten. Dass diese auch dem Ärztemangel entgegenwirken, erläuterte er am Beispiel der Fernbehandlung von Gefängnisinsassen in seiner Region. In dem Fall muss dann nicht in allen Einrichtung rund um die Uhr ein Arzt vor Ort sein .
Clever schilderte weitere Modellprojekte, deren Einsatz seine Kammer unterstützt. Hierzu zählen beispielsweise Rezepte, die elektronisch vom Arzt an die Apotheke verschickt werden, Videosprechstunden, Online-Terminvereinbarungen oder auch Arztberatungen im Internet. Ziel müsse es sein, neue Ideen in der Versorgung nutzbar zu machen und Ärzten die Beteiligung an neuen Anwendungen zu ermöglichen.
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